„Digitalisierung“ – Quo Vadis?

Oder: Wie der inflationäre Gebrauch eines Wortes durch Unwissende ein schlechtes Bild auf den Zustand der digitalen Transformation wirft. 

Seit Februar 2021 läuft landesweit die neue Werbekampagne der deutschen Post. Von der mobilen Briefmarke bis hin zur Paketverfolgung per App. Die Post öffnet die Tore in das digitale Zeitalter und hat mit Jürgen Vogel als ehemaligen Post-Mitarbeiter einen sympathischen Werbeträger. Gefällt mir! Auch wenn ich noch nicht ganz verstanden habe, warum in Deutschland ausgerechnet ein Kommunikationsmittel wie Briefpost den Übergang ins digitale Zeitalter einläuten muss. Aber gut, ich habe verstanden: Das Anlecken von Briefmarken soll es in der jetzigen Form nicht mehr geben. Das verbuche ich als einen Schritt in die richtige Richtung.

 

Die Politik hat das Faxen dicke

Ein anderes Beispiel: Stolz und in Erwartung ausgiebiger Schulterklopfereien hat Gesundheitsminister Jens Spahn Ende 2020(!) verkündet, dass die Corona Testergebnisse den zuständigen Gesundheitsämtern fortan nicht mehr per Fax gemeldet werden dürfen. Boom! Das erwartete Schulterklopfen blieb jedoch aus – verständlich. Natürlich ist die Meldung im Grunde eine positive. Dennoch dient diese Meldung (leider) sehr gut als Barometer für den aktuellen Zustand der gelebten Digitalisierung in unseren staatlichen Institutionen. Die effiziente Nachverfolgung von infektiösen Menschen bedarf vor allem klar definierter und effizienter Prozesse. Der eigentliche Schocker ist doch viel mehr, dass das Fax in diesem existenziellen Zusammenhang bisher überhaupt eine Rolle gespielt hat! Digitale Transformation – quo vadis?

Durch den fast schon inflationären Gebrauch des Ausdrucks „Digitalisierung“ hat man sich mittlerweile berechtigte Hoffnungen auf das Unwort des Jahres erarbeitet. Kein einziger Volksvertreter kommt mittlerweile ohne dieses Buzz-Word aus. Mehr als simples Buzzwording ist aber ehrlicherweise auch nicht drin. Fortschritt interruptus sozusagen. Es wäre nicht das erste Mal, dass man sich an einem im Grunde soliden Begriff durch die ständige Nutzung satthört. Eine Digitalisierung herbeizureden kann nicht funktionieren, wenn diejenigen, die mit der Vokabel so freizügig um sich werfen, noch im Jahr 2013(!) das Internet zum „Neuland“ erklärt haben. Das einstige Modewort verkommt zur Floskel. Vermehrt hört man von Versuchen, auf Websites oder in Blog-Beiträgen das böse Wort mit „D“ zu vermeiden. Salopp gesagt: Das Wort ist „durch“. 

 

Eine Pandemie als Augenöffner

Wenn man der Pandemie überhaupt etwas Positives abgewinnen will, dann definitiv einen Erkenntnisgewinn über den technologischen Wasserstand einer Nation, die einst die Röntgenstrahlung oder das MP3-Format erfunden hat. Schonungslos wurde uns vor Augen geführt, wo die Defizite liegen. Digitalisierung vs. Bürokratie ist wie David gegen Goliath. Das eine kennt man schon sehr lange. Da ist man gut drin. Das andere ist die große Unbekannte, der man sich eigentlich gar nicht widmen will. Eher muss. Hier offenbart sich eine Grundproblematik der Digitalisierung: sie ist nicht klar definiert! Wo genau fängt sie an? Ab wann ist ein Unternehmen oder ein Land auf dem Weg oder sogar „zu-Ende-digitalisiert“? Man weiß, man muss sich bewegen, aber die Richtung ist unklar. Profi-Tipp: Einfach den Inhalt vom analogen Klemmbrett in eine Excel Tabelle zu packen, reicht oft nicht. Offensichtlich eiern unsere gewählten Vertreter also auch deswegen so rum, weil sie zwar Wissen, sie müssen zu dieser Digitalisierung, haben aber weder Karte noch Kompass.

 

Lichtblicke

Zugegebenermaßen wird man dem ganzen nicht gerecht, wenn man sich lediglich auf die negativen Beispiele konzentriert. Seit November 2019 ermöglicht das X-Rechnungen-Format den digitalen Rechnungsaustausch mit öffentlichen Auftraggebern in Deutschland. Es ist ein großer Schritt, um Rechnungen zukünftig nicht mehr per Post versenden zu müssen. Die Privatwirtschaft begrüßt dies sehr. Auch das eingangs genannte Beispiel mit der deutschen Post zeigt ganz klar, dass sich etwas bewegt – und das sogar irgendwie in die richtige Richtung. Unter dem anderen großen Buzz-Word „Industrie 4.0“ verbirgt sich nichts anderes als die Digitalisierung der Produktion. Diese belebt aktuell ganze Wirtschaftszweige, indem sie unter anderem hohen Return on Invest in Aussicht stellt. Man hat längst begriffen: Wer nicht mit der Zeit geht … der geht mit der Zeit.

Privatwirtschaft (mal wieder) als Vorläufer

CRM, ERP und DMS. All diese Abkürzungen sind in der Unternehmenslandschaft schon lange keine Visionen mehr. Man schätzt den Transparenz- und Effizienzgewinn wie auch die sich daraus ergebenden Chancen. Sicherlich werden die neuen Technologien nicht überall im gleichen Ausmaß gelebt. Aber immerhin: man weiß um deren Dringlichkeit. Diejenigen Unternehmen, welche sich darauf einlassen, werden perspektivisch andere verdrängen. Am Beispiel der Online-Händler sieht man sehr gut, dass diese Marktbereinigung bereits in vollem Gange ist. Und an diesem Beispiel sieht man noch viel besser, dass die Transformation des Handels komplett losgelöst von Buzz-Words stattfinden kann. Es war der Zeitgeist im Zusammenspiel mit einhergehenden Wettbewerbsvorteilen, die in Kombination die Digitalisierung des Handels eingeläutet haben. Die, die schnell genug auf den Zug aufgesprungen sind, haben jetzt die Nase meilenweit vorne. Was aber nicht heißen soll, dass es für alle anderen zu spät ist. Die Devise muss lauten: Arschbacken zusammenkneifen, endlich die guten Vorsätze umsetzen und den Buzzwords wieder Bedeutung verleihen. Bestenfalls auch dort, wo die Organisation eines ganzen Staates ablaufen soll.

Fazit

Der Grund, warum Digitalisierung nicht mit staatlichen Einrichtungen hierzulande vereinbar ist: Geschwindigkeit spielt die entscheidende Rolle. Nur mit extremer Trägheit ist es zu erklären, wenn im Jahr 2013 eine Technologie zum Neuland erklärt wird, die bereits 6 Jahre zuvor (anderthalb Legislaturperioden in Politiker-Zeitrechnung) 97% des technischen Informationsaustausches ausmachte. Es wird sehr schnell klar, dass einzig die nicht staatlichen Unternehmen im Stande sind, die Transformation voranzutreiben. Sehr viele KMUs und Konzerne haben dies bereits verstanden und umgesetzt. Andere haben es sich zumindest schon fest vorgenommen, sind also in Begriff, die Party zu verschlafen.

„Made in Germany“ hat uns jahrelang über Wasser gehalten. Leider folgt der Zeitgeist einem anderen Schema. Mit Qualität zu punkten ist um ein Vielfaches schwieriger, als der erste in etwas zu sein. Jetzt müssen wir uns alle beweisen, indem wir zeigen, dass Deutschland nicht nur „gut“ kann, sondern zusätzlich auch schnell. Unternehmer haben es begriffen. Der Rest wird und muss folgen. Gehen wir mit gutem Beispiel voran!

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